Aufschlag in der Sargfabrik

Viele Sportvereine in NRW sind bedroht, weil Städte und Gemeinden kein Geld mehr für die Hallen haben. Ein Tischtennisclub in Geseke sammelt deshalb Spenden für eine alte Fabrikhalle (von Heinz Krischer)

Einsam und verloren steht sie da. Staub hat sich auf die Tischtennisplatte gesenkt. Und irgendwie wirkt das einzige Einrichtungsstück in der gänzlich leer geräumten Industriehalle in Geseke völlig deplatziert. Doch Wolfgang Schmidt scheint das alles nicht zu kümmern. Er dreht sich im Kreis, durchmisst die Halle mit einem Strahlen in den Augen und sieht im Geiste etwas vor sich. Etwas, das hier entstehen könnte: ein Zentrum für Tischtennisspieler, zwölf Tische an denen junge Menschen mit dem kleinen Ball spielen, Meisterschaftskämpfe, Jubel, Begeisterung.

Ja, die Industriehalle hier im Gewerbegebiet von Geseke im Kreis Soest soll zur Sporthalle werden. Finanziert allein aus Spenden und mit ehrenamtlicher Arbeit. Denn Geld von der Stadt für eine neue Tischtennishalle gibt es nicht. Und ohne private Initiative hätte der Sport hier keine Zukunft mehr. Ein Schicksal, das immer häufiger Sportvereinen in Nordrhein-Westfalen droht.

Seit Jahren schon müssen die Tischtennisspieler des TV Geseke mit ansehen, wie die bisherige Trainings-Halle marode wird und verfällt. Wie es im Winter kalt wird. Wie Schäden nicht mehr richtig ausgebessert werden. „Die städtische Halle gehört zu einer Schule“, erklärt Wolfgang Schmidt. „Aber die Stadt wird die Schule in etwa zwei Jahren schließen, und damit in absehbarer Zeit sicherlich auch die Halle. Dann stehen wir Tischtennisspieler vor dem Nichts.“ Schmidt ist 64 Jahre alt, er war lange Jahre Leiter der Tischtennis-Abteilung im Turnverein Geseke.

Seit fast 70 Jahren wird in Geseke Tischtennis in vielen Leistungsklassen gespielt, und manch ein prominenter Tischtennis-Spieler wie Eberhard Schöler, Dimitrij Ovtcharov oder Jörg Roßkopf trat hier schon bei Turnieren an. Ein Ende dieses Sports, der derzeit von rund 150 Aktiven betrieben wird – das wäre für Wolfgang Schmidt einfach unfassbar. Weil aber alle Verhandlungen mit der Stadt über den Neubau einer Sporthalle nichts brachten, weil die Stadt auf ihre schlechte Finanzsituation verweist und darauf, dass in absehbarer Zeit keine Besserung zu erwarten sei, wurde Schmidt aktiv.

Sein Plan geht so: Ein Förderverein baut oder kauft eine eigene Halle für die Tischtennis-Spieler. Finanziert nur aus Spenden. „Manche haben mich für verrückt erklärt“, sagt Schmidt schmunzelnd. Zu seinem 60. Geburtstag gründete er mit einer Handvoll Mitstreitern den Förderverein „Senioren für Junioren“. Ging Klinken putzen bei Firmen in der Stadt. Rief potente Geldinstitute an und erklärte seine Pläne. Schrieb 1500 Bettelbriefe an mögliche Spender. „95 Prozent dieser Briefe wurden erst gar nicht beantwortet“, sagt Schmidt. „Vier Prozent fanden die Idee gut, aber wollten nichts spenden. Ein Prozent gab Geld.“ Zusammen mit einigen Großspendern, die anonym bleiben wollen, schafften Schmidt und seine Kollegen etwas, das niemand für möglich gehalten hätte: Rund 200.000 Euro sind bisher auf dem Spendenkonto zusammengekommen – zwei Drittel der Summe, die Architekt Ulrich Schulz für das Projekt Vereins-Tischtennishalle kalkuliert hat.

Und die ersten Ausgaben wurden bereits getätigt – es sind vielleicht die wichtigsten: Statt eine neue Halle zu bauen, kaufte der Förderverein ein leer stehendes Fabrikgebäude, eine frühere Sargfabrik. „Das soll jetzt aber kein schlechtes Omen sein“, sagt Schmidt lachend. Die recht neue Industriehalle ist rund 750 Quadratmeter groß und auch noch gut in Schuss. Allerdings gibt es keine Heizung, keine Umkleiden, keine Toiletten, keine Duschen. „Das ist jetzt die Aufgabe für die nächsten Monate: Spenden dafür zu sammeln und die Halle entsprechend umzubauen“, sagt Schmidt. „Hier brauchen wir noch Unterstützung, damit uns auf den letzten Metern nicht die Luft ausgeht.“ Schmidt hofft jetzt auf Unterstützung auch von außerhalb – denn die lokalen Spender sind mittlerweile alle abgegrast.

„Was die Tischtennis-Sportler in Geseke gerade machen, das ist einerseits sicherlich sehr außergewöhnlich“, sagt Achim Haase, Stabsreferent beim Landessportbund NRW für Politik und Grundsatzfragen. „Aber leider ist es auch symptomatisch. Denn die Sportvereine bei uns im Land sind mehr denn je darauf angewiesen, dass ehrenamtliche Helfer neue Ideen und neue Initiativen entwickeln, wie es mit ihrem Verein weitergehen kann.“ Mehr und mehr zögen sich Land und Kommunen aus der Förderung des Vereinssports zurück, stellt man beim Landessportbund (LSB) fest. Das lässt sich vor allem an der Finanzierung der Sportstätten festmachen.

Eine Untersuchung des LSB zeigt auf, dass es einen riesigen Sanierungsstau bei kommunalen Sportanlagen gibt – und weil sich die Finanzsituation der Städte meist verschlechtert, ist auch eine Verbesserung nicht abzusehen. „Die Sportpauschale, die das Land den Kommunen zur Verfügung stellt, fließt oft in den Schulsport“, sagt Achim Haase, das habe er in vielen Gesprächen in NRW-Städten erfahren. „Das ist eigentlich nicht korrekt!“ Für die Unterstützung der Vereinssportanlagen bleibt dann aber oft nicht mehr viel übrig.

Und in den verbleibenden kommunalen Sporthallen und Plätzen wird die Belegung mit Vereinssport-Stunden immer schwieriger. Immer mehr Vereine beklagten, dass ihnen nicht genügend Sportstätten und Zeiten zur Verfügung stehen, heißt es in einem Positionspapier des Landessportbundes.

„Besonders in Großstädten mit mehr als 500.000 Einwohnern fühlen sich bereits neun Prozent der Sportvereine hauptsächlich durch die eingeschränkte zeitliche Verfügbarkeit der Sportstätten in ihrer Existenz bedroht“, hieß es schon in einer Untersuchung im Sportentwicklungsbericht von 2010. Und seitdem ist es nicht besser geworden. Die Konsequenz trifft manche Vereine hart. Sie müssen Angebote streichen, verlieren dadurch Mitglieder und werden für neue weniger attraktiv.

Einer der Gründe dafür ist die Offene Ganztagsschule (OGS), die viele Zeiten am Nachmittag in den Sporthallen belegt. Weil die schulische Betreuung der Kinder bis in den Nachmittag dauert, können Vereine keine eigenen Sportstunden mehr durchführen. Aber auch der demografische Wandel spielt eine Rolle. Mehr als früher ist für die Vereine Präventions- und Rehabilitationssport und Sport mit Älteren von Bedeutung. Das geht meist nicht auf dem Sportplatz im Freien, dafür sind eher Hallen und Gymnastikräume gefragt.

Dazu kommt, dass viele Städte mit klammen Kassen bei den Vereinen abkassieren. Oftmals werden Benutzungsgebühren für Hallen und Sportplätze eingeführt, viele Städte haben die Gebühr gerade in den letzten Jahren erhöht, sagt Achim Haase vom LSB. Für den Walter Schneeloch, Präsident des Landessportbundes NRW, ist das eine Entwicklung, die dringend gestoppt werden müsse: „Es kann nicht sein, dass immer mehr Kommunen Hallennutzungsgebühren für Vereine einführen und gleichzeitig ihre Zuschüsse für die Vereinsarbeit streichen“, sagt Schneeloch. LSB-Stabsreferent Achim Haase fügt hinzu: „Unsere Sorge ist, dass den Vereinen immer mehr finanzielle Belastungen aufgebürdet werden, die sie nicht mehr leisten können. Oder dass manche ihr soziales Engagement zurückfahren müssen.“ Dazu gehöre etwa, sozial schwache Mitglieder kostenfrei aufzunehmen.

Vereine hingegen, die es sich leisten können, versuchen mit eigenen Mitteln gegenzusteuern. Achim Haase kennt da einige Beispiele. „Da werden alte Fabrikräume zu Fitnesszentren umgebaut, wie beispielsweise von der Lenneper Turngemeinde in Remscheid oder von den „Turboschnecken“ in Lüdenscheid. „Die Vereinigte Turnerschaft Kempen baut sogar eine komplette Grundschule zum Vereins- und Sportzentrum um.“ Meist sind es große Vereine, die solche Aufgaben schultern können. Für Vereine mit nur wenigen Mitgliedern ist das meist illusorisch. Deshalb staunten denn auch die Gäste beim Tag der offenen Tür im Geseker Industriegebiet nicht schlecht, als ihnen Wolfgang Schmidt und seine Kollegen vom Förderverein „Senioren für Junioren“ im August die gekaufte Industriehalle präsentierten.

„Und wir haben auch schon ganz konkrete Pläne, wie es weitergeht“, kündigt Schmidt an. Als in Bremen Tischtennis-Spieler ihre Senioren-Europa-Meisterschaft beendet hatten, konnte Schmidt den dort eigens verlegten fernsehgerechten Sportboden kaufen – für wenig Geld und gerade so viel, dass er demnächst auf den Betonboden der alten Sargfabrik ausgelegt werden kann. Mit einem Industriebetrieb in der Nachbarschaft verhandeln die regen Fördervereinsmitglieder gerade darüber, per Fernwärmeleitung die dort etwas überdimensionierte Hackschnitzel-Heizung anzuzapfen. Das sei deutlich günstiger, als eine eigene Heizung zu bauen. „Wenn alles so klappt, wie wir uns das vorstellen, dann wird am 28. August 2015 Eröffnung gefeiert“, sagt Schmidt. Zu der verstaubten Tischtennisplatte, die jetzt noch allein in der Halle steht, dürften dann elf weitere kommen – allesamt aufpoliert und tauglich fürs nächste Meisterschaftsturnier.

Besonders stolz macht die ehrenamtlichen Hallen-Bauer, dass den Tischtennis-Junioren dann eine schuldenfreie Halle übergeben wird, die öffentlich ausgeschrieben einen Wert von fast zwei Millionen Euro hätte – durch Spenden finanziert aber nur 300.000 Euro kostete. Zweifler und Skeptiker gibt es in Geseke mittlerweile nicht mehr viele. Und die klamme Stadt will zumindest einen kleinen Beitrag aus der Sportpauschale an den Verein zur Anschaffung neuer Tischtennis-Platten geben. Immerhin. So könnte es also klappen, dass in einer alten Sargfabrik der Tischtennis-Sport von Geseke am Leben erhalten wird.

Quelle: Krischer, Heinz.: „Aufschlag in der Sargfabrik“ In: Die Zeit, 49. Ausgabe vom 07.12.2014. http://www.welt.de/print/wams/nrw/article135098388/Aufschlag-in-der-Sargfabrik.html [letzter Zugriff: 08.12.2014]

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